Oremus pro Pontifice nostro Franzisco.

Dominus conservet eum et vivificet eum

et beatum faciat eum in terra et

non tradat eum in animam inimicorum eius.

Sonntag, 12. September 2010

Der bemitleidenswerte Täter – Zynismus, der sich als Barmherzigkeit tarnt

Die Auswahl für Themen war diese Woche sehr reichhaltig, aber jetzt gebe ich dem den Zuschlag, das in der letzten Woche zuerst in einem Gespräch aufkam. Es setzt auch die Thematik des vorigen Posts fort.
Und um Missverständnissen vorzubeugen: Auch Täter verdienen Barmherzigkeit, unbedingt. Sie brauchen Gebet und Hilfe für einen Neuanfang. Aber eben keine Barmherzigkeit auf Kosten der Opfer.
Also, Anfang dieser Woche sagte ein ernstzunehmend frommer Mensch zu mir mit anderen Worten Folgendes: „Lügen ist gerechtfertigt und wird geradezu provoziert, wenn jemand nur auf diese Weise etwas bekommen kann, was ihm wichtig ist.“ Dieses Zitat ist natürlich nicht wortwörtlich, besagte Person würde so etwas bei klarem Nachdenken auch nie äußern. Aber alle, die jetzt den Kopf schütteln, mögen einmal ihre Reaktion betrachten, wenn sie den Sachverhalt hören, der zugrunde lag:
Es gibt eine katholische Gemeinschaft, ein Säkularinstitut (nein, nicht Opus Dei, für die, die bei Säkularinstitut nur darauf geeicht sind, es gibt wirklich viele Säkularinstitute), die viele Ebenen der Einbindung hat, für Familien, Alleinstehende, Weltpriester, Ordenspriester, Ordensschwestern, Jugendliche, kurzum es gibt für jeden eine Nische dort, aber für zwei dieser Untergruppierungen gibt es eine Zugehörigkeitsbedingung: die beitretende Person muss noch immer jungfräulich sein und zwar nicht nur irgendwie symbolisch und übertragen sondern ganz explizit in dem Sinne, dass sie noch nie einem anderen Menschen Geschlechtsverkehr hatte. – In Ordnung sollte man eigentlich denken, ganz schön strikt, aber wenn es Leute gibt, denen das so wichtig ist, warum nicht. Soweit also bleibt den meisten noch die Logik erhalten. Obwohl einige sich schon hier empören werden, denn allein die Tatsache, dass Keuschheit manchen als sehr hoher Wert gilt, ist für viele andere bereits ein Ärgernis.
Stellen wir uns vor, wir werden mit der obigen Lage der Dinge konfrontiert, wenn es um eine Person geht, die wir kennen oder mit der wir uns auch nur identifizieren können. Da wurde einer jungen Frau oder einem jungen Mann die Mitgliedschaft (in der spezifischen Gruppe, nicht in der Gemeinschaft als solche) verweigert, nur weil die Jungfräulichkeit schon verloren gegangen ist, und die junge Frau bricht in Tränen aus oder der junge Mann ist wie am Boden zerstört, weil er oder sie gerade zu der allerverbindlichsten Gruppe gehören wollte. Unsere erste Reaktion wird, so wie wir nun einmal heutzutage und hierzulande konditioniert sind, sein, uns gegen die Unbarmherzigkeit zu empören. Da hat jemand einen Fehler gemacht, den er bereut und damit soll ihm diese Möglichkeit verschlossen bleiben. Wie grausam!, wollen wir aufschreien.
Wenn wir uns aber der Wahrheit stellen ist das nicht grausam. Es ist schmerzhaft, es ist sehr strikt und ein echter Stolperstein für uns alle, aber es ist weder grausam, gemein noch unfair.
Wenn Gott unsere Aufmerksamkeit gewinnen will, muss Er in vielen Fällen Schmerz zulassen. Er wird es nur als letztes Mittel zulassen, um uns vor größerem Unheil zu bewahren, aber er wird es zulassen. Erinnern wir uns an die Bergpredigt? Besser ein Auge verlieren, als mit zweien ins ewige Verderben geraten (Matthäus 5,29ff). Wir wollen es nicht hören, dass wir mit etwas sehr Wertvollem – der Fähigkeit mit Sexualität Beziehungen zu stärken – umgehen wie mit Ramschware. Dass diese Fähigkeit im Grunde für die eine Beziehung gedacht ist, die wir nach gründlicher Prüfung eingehen und an der wir für den Rest des Lebens festzuhalten bereit sind, ob es nun das Gelöbnis an Gott oder einen anderen Menschen ist.
Wir wollen lieber alles ausprobieren können und dazu noch die Garantie haben, das völlig ohne Folgen und bleibende Schmerzen tun zu können. Und wenn das nicht geht, und es geht nicht, dann ist ein anderer schuld. Nicht wir. Wir wollten doch nur alles ohne dafür etwas zu geben.
Aber wir sind noch nicht bei dem letzten Auslöser für die Aussage am Anfang angelangt: Jene Gemeinschaft legt großen Wert auf Freiheit und Vertrauen und statt ihre Mitglieder zu kontrollieren bittet sie sie um Selbstkontrolle. Das heißt z.B. bei der Bitte um Aufnahme in eine Untergruppe, gibt man ehrlich und vollständig Auskunft über sein Leben und tut das auch weiterhin in der sehr privaten Form einer geistlichen Begleitung (ein geistlicher Begleiter bewahrt das ihm Anvertraute wie ein Beichtvater, d.h. niemand sonst erfährt etwas).
Über die Jahrzehnte haben viele das ehrlich und oft (wenn das zur Ablehnung ihres Ersuchens führte) unter Schmerzen getan und haben sich im ungünstigsten Fall mit ihrer Treue zur Wahrheit getröstet. Nur mindestens einer hat massiv gelogen und betrogen, über seine Vergangenheit, sein Leben zu dem Zeitpunkt, in seinem Lebensbericht, gegenüber seinem geistlichen Begleiter. Er hat es u.a. getan, weil ihm eine recht glänzende Karriere bevorstand. Jahrelang hat er weiter gelogen und betrogen und getäuscht – und dann kam es heraus. Zunächst intern. Er hat sich tatsächlich gebessert und das ist Grund zur Freude – aber es kam für noch mehr Menschen sichtbar ans Licht, was geschehen ist.
Der Schaden, der dadurch entstanden ist kaum in Worte zu fassen. Insbesondere die Zerstörung von Vertrauen. Das Vertrauen anderer in seine Integrität. Das Vertrauen an die freiwillige Selbstverpflichtung zur Ehrlichkeit. Das Vertrauen in andere, denn wenn hinter dieser glänzenden Fassade soviel Lüge war, wem soll man dann noch vertrauen. Das Vertrauen der Ehrlichen in ihre Gemeinschaft, die bisher nicht anerkannt hat, was offensichtlich ist: Wer einen Vertrag unter Vorspiegelung falscher Tatsachen schließt, hat keinen gültigen Vertrag.
Ganz ehrlich, hatte dieser Mensch denn wirklich das Recht zu lügen, nur weil er dann nicht bekommen hätte, was er aus verschiedenen Gründen wollte? Ist es richtig, die Gemeinschaft aller von ihm Betrogenen zu beschuldigen, sie sei letztendlich schuld daran, weil sie so eine Regel hat?
Ist das etwa Barmherzigkeit, Caritas, Wahrheit? Können wir Mitgefühl und Verständnis denn nur noch zeigen, indem wir andere, oft Unschuldige und Leidtragende, anklagen müssen.
Es erscheint mir fast wie die in manchen Ländern der Welt leider immer noch üblichen Beschuldigungen gegenüber vergewaltigten Frauen: Das Opfer sei immer selbst schuld, denn auf irgendeine Weise müsse es den Täter doch zu der Tat provoziert haben. Daher sei das Opfer zu bestrafen.
Können wir den Zynismus in einem solchen Verhalten noch erkennen, wenn das Opfer die Kirche oder eine kirchliche Gemeinschaft ist?

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