Das "Wort der deutschen Bischöfe zum Auftakt der Jubiläumsfeierlichkeiten des Zweiten Vatikanischen Konzils" (puh, was für ein Titel!) habe ich schon vor ein paar Wochen durchstudiert. Mit dem Kuli in der Hand, um nicht zu vergessen, was mir dazu ein- oder auffällt, weil ich nicht oft Zeit habe, so etwas gründlicher zu lesen.
Was ich jetzt schreibe ist auch keine Rezension, sondern das, was ich als normaler Kirchgänger dabei überlegt habe. Wobei ich stets die Frage im Hinterkopf hatte: "Funktioniert das denn auch so, wie es gedacht ist/war? Oder hat die Idee von vornherein ein paar wichtige Faktoren unbeachtet gelassen, die sie - so schön sie ist - unpraktikabel machen?" Ich dachte dabei auch an das Problemfeld Religionsunterricht und Katechese, mit dem sich die Bischofskonferenz an einem Studientag beschäftigte. Da wurde ganz explizit gesagt, dass es der Würzburger Synode (diesem Treffen aus für mich ungefähr so grauer Vorzeit wie das Vaticanum II) beschlossen hatte, dass Katechese in die Gemeinde gehöre und dort stattfinden solle, während der Religionsunterricht ergänzend dazu Hintergründe liefern solle (Ethik, Philosophie, andere Religionen, soziales Verhalten usw.), die im Grunde auf der Katechese aufbauen. Im Ansatz ist das schon richtig, wo kann man den Glauben besser erfahren und kennenlernen als in der Gemeinschaft der Glaubenden, die sich zur Gottesverehrung trifft und apostolisch tätig wird, im vollen Bewusstsein ihres allgemeinen Priestertums? Sehr schön in der Theorie. In der Praxis endete es weitgehend damit, dass alle potentiellen Orte der Katechese auf die jeweils anderen Orte und den Religionsunterricht setzten und - Ausnahmen bestätigen die Regel - die allgemeinen Pfarrkatechesen an das Niveau derer angepasst wurden, die die wenigsten Vorkenntnisse hatten, was in vieler Art in einer Art Katechese auf Kindergartenniveau für alle Altersgruppen endete. Mit dem Erfolg, dass Eltern sich überfordert vielen, ihren eigenen Kindern Glaubensinhalte zu erklären, weil sie ihnen nie erklärt wurden und wo es nur mit intensivem Selbststudium (und wer investiert dazu die Zeit und das meist noch ohne Anleitung?) möglich ist, sich selbst in Bezug auf den eigenen Glauben weiterzubilden? - Aber ist man bereit, die Bilanz zu ziehen und zu sagen: "Die Idee war im Grunde gut, aber sie funktioniert nicht?"
Also denn, die deutschen Bischöfe kapitulieren in ihrem "Wort", was die wesentlichen Elemente der Reform waren, die das Vaticanum II bewirken wollte/sollte.
Sie erklären das "aggiornamento" am Beispiel der Liturgie. "Die Teilhabe der Gläubigen am Priestertum Christi kraft der Taufe erfordert von der feiernden Gemeinde die geistliche Haltung tätiger Teilnahme am liturgischen Geschehen." Völlig richtig. Nur. Es gibt da gewisse Probleme. Mal ganz außen vor, dass viele immer noch denken, "tätige Teilnahme" hieße "möglichst viele Tätigkeiten und das möglichst ununterbrochen ausüben", während es heißt, "sich möglichst jeden Augenblick vergegenwärtigen, was in der Liturgie gerade geschieht und sich bewusst sein, warum und wie Gott gerade so am besten und einem Willen gemäß geehrt wird bzw. was das hier erlebte Handeln Gottes zu unser aller Heil wirkt".
Ich kenne das aus eigener Anschauung, mit meinem IQ180 und fest entschlossen, der Liturgie aufmerksam zu folgen, begebe ich mich in den Gottesdienst und bin dann - wenn ich nichts zu Hilfe nehme - nach spätestens 15 Minuten derart abgelenkt, dass ich nicht mehr zuhöre (von wegen gar tätig teilnehme) und kaum noch weiß, was überhaupt in den liturgischen Texten vorkam. (Weil ich aus reinem Selbstschutz bei so manchen recht sinnfreien und zusammenhanglosen Äußerungen des Predigers in Predigt und Statio auf Nicht-genau-hinhören schalte. Weil eine Sondereinlage, die in keiner Liturgie steht, mich völlig durcheinanderbringt. Weil es irgendwie nervt, dass der Pfarrer statt zu beten sichtbar Leute zählt. Weil gerade jemand Sachen erzählt, die eigentlich mit der katholischen Lehre nicht vereinbar sind und ich mir überlege, was man am besten auf sowas erwidern sollte. und und und.)
Es geht ja auch nicht nur mir so. Die Teilnahme der meisten ist so tätig, dass sie nicht einmal wissen, was das Evangelium war. Und da nie jemand, den ich fragte, wusste, was der Pfarrer überhaupt gepredigt hatte, habe ich bisher auch ganz verzichtet, ihn auf theologischen Unsinn in seinen Darlegungen hinzuweisen. Man muss ja niemand unnötig ärgern, falls er gar keinen verwirrt. - Bei manchen Sondereinlagen wissen gut 60% gar nicht mehr, in welchem Teil der Messe sie gerade sind, da sie auch die Anfangsworte der Hochgebete nicht identifizieren können. Das lernt man ja nirgends. Auf Verdacht stehen dann die einen auf oder setzen sich, bis irgndwann die Wandlungsworte selbst das große Aha-Erlebnis liefern. Zumindest bei denen, die häufiger da sind.
Zur Förderung der tätigen Teilnahme wäre es nötig, zum Beispiel zum Besitz der liturgischen Messtexte zu ermutigen. Möglichkeiten gibt es ja viele: Schott, die Publikation "Magnificat" u.a. Aber das habe ich in meinem Pfarreidasein bisher noch nicht erlebt.
"Den Glanz edler Einfachheit und die Durchschaubarkeit der Riten wünschten die Konzilsväter." Erreicht haben wir inzwischen eine völlige Verwirrung. Sind wir jetzt mit dem Gebet dran, dass unser Pfarrer uns immer sprechen lässt oder lässt er den Text davor diesmal doch nicht weg? (zum Beispiel und siehe auch direkt darüber)
Gerade die zur Regel gewordenen Eigen-Liturgien haben alles undruchschaubar gemacht. Die vielen Auslassungen und Abänderungen verunmöglichen oft Verständnis. Und Einfachheit? In einem Makrameeknoten von mehr oder weniger kreativen Einlagen, damit "die von uns gestaltete Messfeier allen lange im Gedächtnis bleibt"?
"Die Kirche und ihre Ämter sind von ihrem Dienst her zu verstehen." Völlig richtig. Aber wie kommt es dann, dass derart verbissen Ämter als Ermächtigungen zu Macht begriffen werden? Dass kaum jemand noch dienen will? Sondern nach Führungs- und Entscheidungspositionen verlangt? Hier bräuchten wir dringend eine Rückkehr zu den ursprünglichen Intentionen.
"Deshalb ist es den Konzilsvätern ein Anliegen, das ganze kirchliche Leben am Wort Gottes auszurichten und den Gläubigen einen neuen Zugang zur Heiligen Schrift zu eröffnen." Absolut richtiger Ansatz. Aber wie kommt es, dass die viele selbst bei Zachäus (der, der in den Katechesestundengeschichten auf den Baum geklettert war, weil er Jesus sehen wollte) oder David große Fragezeichen auf recht vielen Gesichtern erscheinen. Denn bei den Lesungen - falls die jemand überhaupt hört, weil er noch in die Kirche geht - hört man ja meistens weg. Ständig wird man von überall berieselt, da ist man doch froh, einfach mal den eigenen Gedanken nachzuhängen. Und die Lektoren sind entweder relativ monoton (wie es ihnen beigebracht wurde) oder stolpern gar durch die Texte. Auch kann man sich an keinem Satz aufhalten sonst verpasst man ja den nächsten und gerät doch in Gedanken und das war es. Der Bibelkreis passt zeitlich nicht und wenn man das dicke Buch auf Gutdünken aufschlägt, gerät man an unverständliche Stellen. In der Predigt kommen die Lesungen meist nur als kurzer Aufhänger vor, um dann Alltagssituationen und moderner Literatur zu weichen, die laut dem Prediger aussagekräftiger sind. Hmmm, vielleicht sollte man jenen Roman kaufen, bestimmt spannender als die Bibelstelle, die "uns ja heute sowieso nicht mehr ansprechen kann".
Nein, das Anliegen der Konzilsväter wurde bisher nicht verwirklicht. Auffällig ist, dass die vorkonziliare Generation deutlich bibelfester ist .... Auch wenn sie nicht die komplette Bibel kennt.
"Es forderte alle Glieder der Kirche auf, sich selbstbewusst und ohne innere Vorbehalte mit den Fragen der Gesellschaft und der Kultur zu beschäftigen." Daraus wurde ein, die Meinungen der Gesellschaft möglichst 1:1 zu übernehmen und den Glauben so "neu auszulegen", dass er die vorherrschenden gesellschaftlichen Meinungen bestätigt. Von Selbstbewusstsein keine Rede: "Ich bin zwar katholisch, aber in Wirklichkeit bin ich genauso wie sie und lehne alles spezifisch Katholisch ab, besonders alle Lehrmeinungen." ist das neue Credo geworden.
"Deshalb dürfen wir uns auch in einer von vielen als unübersichtlich und bisweilen sogar bedrohlich empfundenen Gegenwart nicht auf uns selbst zurückziehen." Als ob das ginge. Die meisten von uns leben in einer weitgehend entchristlichten Welt. Unsere Freunde, Kollegen und Bekannten sind zu einem großen Teil Nichtchristen und wir müssen mit ihnen interagieren; es gibt kein Milieu mehr, in das wir uns zurückziehen könnten. Oder ist das ängstliche Verschweigen eigener Überzeugungen gemeint? Das "ich erwähne lieber nicht, dass ich tatsächlich ab und zu Gottesdienste besuche", das "eigentlich finde ich, das Kinder nicht getötet werden sollen, bevor sie geboren werden, aber ich ich darf mich nicht intolerant zeigen" oder das "ich wünschte mir manchmal schon, es gäbe etwas, an dem ich mich festhalten könnte, aber dann werde ich als unselbständig ausgelacht" und solche Dinge? Mut brächte es viel. Doch wer ermutigt uns?
Ist es nicht eher so, dass wenn ein (junger) Mensch versucht, sein Leben zaghaft an katholischen Überzeugungen auszurichten, er sofort mit Prügelworten wie "konservativ", "fundamentalistisch", "reaktionär", "triumphalistisch", "intolerant" usw. bedacht. Gerade seitens geweihter und ungeweihter Kleriker und Vertretern der Theologie und Inhabern von kleinen Pfarrei-Machtpositionen? Ich weiß, dass ich da fast nur von allen Seiten Prügel bekommen habe, als ich anfing darüber nachzudenken, was Gott denn nun von mir will und wie ich christlicher als bisher leben kann. Wie so viele habe ich erst einmal das katholische Umfeld etwas verlassen und freikirchliche Räume aufgesucht, um über den Glauben sprechen und austauschen zu können, ohne dass mein Wunsch nach "mehr" sofort eine Gesinnungspolizei auf den Platz rief. Ich selbst war persönlich trotz aller Zweifel, Fragen und Fastkirchnaustritt zu tief mit der katholischen Liturgie verbunden, als dass ich sie gegen die Freikirchenwelt hätte eintauschen wollen. Aber viele sind dort geblieben, weil sie in ihrer katholischen Gemeinde keine Möglichkeit sahen, im Glauben zu wachsen.
Wird das bedacht? Wohin die seit nunmehr 50 Jahren währende katholische Selbstzerfleischung geführt hat und führt? Dass es fast keinen Ort mehr gibt, an dem zarte Glaubenspflänzchen gehegt, gestützt, begossen und genährt werden? Dass es eher so ist, wenn sich an etwas Katholischem ein kleiner feiner grüner Trieb zeigt, sofort davon ausgegangen wird, dass hier ein massiver Baum steht? Den man möglichst schnell beschneiden muss, damit er nicht zu hoch und falsch wächst?
All das kam mir so, als ich das Wort der Bischöfe las.
Halbwegs tätige Teilnahme ist mir nur dank meines Schott-Messbuchs möglich.
Was mich dennoch optimistisch stimmt: Die (meist jüngeren) Priester und Priesterkandidaten, die ich letzter Zeit kennen gelernt habe: mir scheint, es gibt eine starke Gegenbewegung gegen den Relativismus in der Liturgie! Und eine Hinwendung zur Konzentration auf die Bibel, auf Jesus Christus und die Eucharistie. Und das überzeugt zumindest die, die wirklichen Glauben suchen und die Freude daran einer Dauerkritik und Nörgelei über die "Amtskirche" vorziehen. Ich würde es nicht glauben, wenn ich nicht einen solchen Priester persönlich erlebt hätte: katholisch, gläubig, voll spürbarer Liebe zu Christus und zur Kirche - und dadurch voller Überzeugungskraft, auch und gerade für Kinder und Jugendliche! Von ihm habe ich gelernt, dass wir unseren Glauben wie selbstverständlich vertreten müssen (das hat er, und dabei völlig unaufdringlich, eher zurückhaltend, und doch sehr entschieden, gemacht). Bei mir ist die Erkenntnis leider noch sehr theoretisch: ich ertappe mich eher immer noch bei den von Ihnen oben sehr treffend beschriebenen "Kompromiss-Aussagen", denn man will ja in der Runde von Kollegen, Freunden ... keine schlechte Stimmung erzeugen, und das peinlich berührte Schweigen bei manchen Aussagen (z.B. Gottesdienstbesuch oder Abtreibung) ist auch nicht gerade angenehm. Früher hielt ich mich ja selbst eher für "tolerant" und eine "moderne" Christin - und habe nicht gemerkt, dass ich eher gar keine Christin war...
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