Wir fahren fort mit den Auszügen aus den Pastoraltipps von
Pfarrer Schlau aus Wurstelheim. Da die Beiträge zu den übrigen
Sakramentenkatechesen sich sinngemäß in vielem mit dem schon Zitierten
überlappen, wenden wir uns nun einem moraltheologischen Thema zu, das in vielen
Bereichen Fragen der Pastoral berührt, der barmherzigen oder pastoralen Lüge:
„Möglicherweise erstaunt die Überschrift dieses Kapitels, „Die
Notwendigkeit der pastoralen Lüge“, die pastoral Unerfahrenen ein wenig. Lügen
als Seelsorger, werden sie sich fragen, ist das nicht ein Widerspruch in sich?
Das verstößt doch gegen das siebte Gebot!
Hier zeigt sich schon wieder die uns wohlbekannte Starrheit
des Denkens: Gebote! Gott will doch unsere Freiheit! Der Originaltext spricht
doch nur davon, dass man gegen den Nächsten kein falsches Zeugnis ablegen soll.
Selbstverständlich fordere ich meine Gemeindemitglieder nicht zu Falschaussagen
vor Gericht auf.
Ganz bewusst habe ich den Ausdruck ‚Notwendigkeit‘ gewählt,
nicht etwa ‚Wichtigkeit‘, unsere Worte müssen Not wenden, Barmherzigkeit
verwirklichen. Das Gegenteil dessen, was eine brutal an den Kopf geschmetterte ‚Wahrheit‘
bewirken würde. Wer von uns kennt nicht selbstgerechte Menschen, die im Namen
der Wahrheit andere mit ihren Worten niederschlagen, wir aber wollen unserem
evangeliumsgemäßen Auftrag nach aufrichten!
In den vorhergehenden Kapiteln habe ich im Rahmen der
Sakramentenkatechese bereits auch einige Beispiele erwähnt. Wer würde, um das
zu wiederholen, auch einem Sterbenden zusätzliche Last auflegen, indem er ihn
an eventuell begangene Fehler erinnert? Wer wird seine nachvollziehbaren
Lebensentscheidungen plötzlich zur Sünde deklarieren wollen? Oder wer würde gar
trauernden Hinterbliebenen gegenüber Andeutungen machen, es könne angebracht,
um das ‚Seelenheil‘ ihres geliebten Verstorbenen zu beten! Das würde ja
implizieren, dass er möglicherweise nicht in die Seligkeit gelangt sein könne
bisher. Die Bedrückung, die das verursachen würde! Nein, besser ermutigt man
sie, in gläubiger Zuversicht davon auszugehen, dass der Verschiedene nun
bereits in der Gemeinschaft der Heiligen für sie Fürsprache tun kann. Denn
gleich, womit er im Leben zu kämpfen mochte, die allumfassende Barmherzigkeit
Gottes hat ihn nun zweifellos aufgenommen.
Dass Kritik an der Lebensführung der uns anvertrauten
Gläubigen, die stets nur in Verantwortung vor ihrem Gewissen handeln, völlig
ausgeschlossen ist, habe ich ja auch schon dargelegt. Wichtig ist es diese
Eigenständigkeit zu fördern und zu betonen, dass jeder in sich selbst die Wahrheit
erspüren kann und soll. Unsere Aufgabe ist es, sie vor falschen Schuldgefühlen
zu bewahren und bei Zweifeln bestärkend beizustehen.
Der kreative Umgang mit der Wahrheit ist auch dann äußerst
wichtig, wenn wir uns mit den unglücklichen Menschen konfrontiert sehen, die
sich krampfhaft an Regeln und Ordnungen klammern wollen. Zu ihrer Beruhigung
sollten wir gelegentlich an öffentlichen Orten, an denen möglichst wenige von denen versammelt sind, die wir vor ihren angstmotivierten
Verirrungen bewahren müssen, Sätze fallen lassen, die auch ihre Ansichten
reflektieren. Gut dazu eignen sich zum Beispiel die Standardgottesdienste, die
ohnehin die Zukunftsträger unserer Arbeit kaum ansprechen.
Das löst zugleich das Problem, das manche der uns
übergeordneten Stellen, von deren Seite wir leider mit Beobachtung rechnen
müssen, dadurch ebenfalls Beweise erhalten, dass wir durchaus das vertreten,
was sie als katholische Lehre betrachten. Ein gutes Beispiel hierin gibt uns
der eine oder andere Bischof, Namen will ich hier aus verständlichen Gründen
nicht nennen. Mancher ist ein wahrer
Meister darin, seine Aussagen im externen und internen Forum äußerst gelungen
auszubalancieren, um so optimal wirken zu können.
Wie wir an diesen Vorbildern erkennen können, heiligt der
gute Zweck die Mittel, zu denen wir leider manchmal greifen müssen. Natürlich
steht in diesem bedauerlichen Werk, das als katholischer Katechismus vertrieben
wird, das Gegenteil, der Zweck heilige nie die Mittel. Aber daran können wir
schon deutlich sehen, wie gering die Vertrautheit seiner Verfasser mit der
pastoralen Wirklichkeit ist.
Obwohl ich natürlich strengstens gegen alle Verbote bin und
mit Grauen an die Zeiten der Indexliste der Bücher zurückdenke, habe ich
manchmal den Eindruck, dass jenes Buch tatsächlich dort gut aufgehoben sein
könnte. Andererseits führt es glücklicherweise selten zu Verwirrungen, da die
meisten ohnehin keinen Blick hineinwerfen, da sie uns echte Seelsorger als
verlässliche Quelle zu allen wichtigen Glaubensaussagen kennen und wir ihnen
verständlicherweise versichern, dass sich die Lektüre nicht lohnt, da man darin
eine der Pastoral völlig fernstehende Ansammlung von klerikalen Behauptungen
findet, die mit der Lebenswelt normaler Menschen nicht vereinbart werden kann. Auch
die bahnbrechenden Erkenntnisse unserer weltweit führenden Theologen sind darin
so gut wie gar nicht berücksichtigt. Eine solche Missachtung der Wissenschaft
spricht ohnehin für sich.
Am besten belasten Sie auch sich selbst nicht mit dieser
deprimierenden Lektüre. Verkünden Sie die Wahrheit, die Gott ihnen ins Herz
gelegt hat und sie müssen nicht auf tote, auf Papier geschriebene Worte zurückgreifen.
So werden wir schon bald erleben, wie die Barmherzigkeit über den
unbarmherzigen Legalismus triumphiert. Unser Lohn ist es, die Heerscharen
glücklicher Gläubiger zu sehen, die kirchlicher Bindungen gar nicht mehr
bedürfen sondern frei und selbstbewusst das Zeugnis ihres Glaubens in die Welt
tragen: Es gibt keine Verdammnis mehr. Wir selbst können unsere Welt in ein
Paradies der gegenseitigen Annahme, der Barmherzigkeit und der Toleranz
verwandeln.“
Wir bleiben im Gespräch mit dem Verlag, ob wir hier noch
weitere Auszüge aus Hochwürden Schlaus lehrreichen Erfahrungen eröffentlichen
dürfen.
Wurstelheim ist überall...
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