Ist er wirklich die „Tunica Christi“? Der beste Artikel, den
ich hierzu gelesen habe, geschrieben von Michael Hesemann, stand am 7.4.12 in
Die Tagespost, S.5.; leider ist er im Archiv nur für Abonnenten zugänglich. Auf diesen Artikel nehme ich hier Bezug:
In uns zugänglichen Quellen erwähnt wird der „Heilige Rock“
zuerst im 12. Jahrhundert, in den Gesta Treverorum, deren älteste Teile von
1205 stammen. Am 1. Mai 1196 wurde der Rock im Petrusaltar des Ostchores des Trierer Doms untergebracht,
wo man sie auch 1512 wiederfand: es war
eine „löchrige, brüchige, uralte Tunika“.
Die erste wissenschaftliche Untersuchung fand erst 1973/74
statt. Dabei wurde festgestellt, „dass der Heilige Rock ... gar nicht die
eigentliche Reliquie ist, sondern gewissermaßen ihr Reliquiar. Der Pilger sieht
... eine auf der Vorderseite mit Falten verzierte liturgische Tunika aus dem
16. Jahrhundert. ... In ihrem Inneren befinden sich elf Schichten von Textilien
unterschiedlichen Alters und Zustands. Tüll- und Seidenfutter aus dem 19.
Jahrhundert sowie ältere Gaze- und Taftseide umgeben eine fragile Schicht
verfilzter Wolle hohen Alters, zusammengehalten durch die Überreste brüchig
gewordener orientalischer Seidengewebe aus dem achten bis neunten Jahrhundert.
Nur diese Wollschicht kann einen Anspruch darauf erheben, als die eigentliche
Reliquie zu gelten.“
Man hatte nämlich im Jahre 1512 nur ein Kästchen mit den
gefalteten alten Wollresten gefunden, Kaiser Maximilian I wollte sie aber als
Gewand sehen. Da die Wollreste so wenig repräsentabel waren, nähte man sie wohl
in eine neue Tunika ein, deren Form der ursprünglichen nachempfunden war. Doch
der Zahn der Zeit nagte weiter. 1891 war das Gewebe derart zerfallen, dass man
alles mit Gummitragant bestrich. Dadurch entstand das heutige Aussehen und da
man damals noch nichts von Radiokarbondatierung wusste, nahm man auch keine
Rücksicht darauf, dass diese dadurch unmöglich wurde.
In oben erwähntem Artikel wird ausgeführt, dass im 19.
Jahrhundert gespottet wurde, es gebe an die 20 „Heilige Röcke“ an verschiedenen
Orten. Bei genauerer Untersuchung der
Anhaltspunkte ergibt sich jedoch, dass es sich bei den meisten um andere
Gewänder/Kleidungsstücke handelt, nämlich ein „Kindergewand des Herrn“, der
Purpur, den die römischen Soldaten bei der Geißelung zur Verspottung
verwendeten, das Gewand, das Herodes gegeben haben soll. Bei anderen Quellen
könnte es sich durchaus um Sichtungen der verschiedenen Gewänder zu
verschiedenen historischen Zeitpunkten handeln, denn von ihrem Verbleib ist
nach jenen lange zurückliegenden Erwähnungen nichts mehr bekannt.
Eine Reliquie gibt es jedoch, bei der es wahrscheinlicher
ist, dass sie das unzerteilte Gewand Christi ist, und zwar in Argenteuil in
Frankreich. Karl der Große soll dem Kloster dort 802 das Gewand übergeben
haben, das er selbst von der byzantinischen Kaiserin Irene erhalten hatte.
Diese inzwischen sehr stark beschädigte Tunica (sie musste unter anderem durch
die französiche Revolution hindurch gerettet werden) wurde 1898 und 1932-34
untersucht und scheint eine römische Textilie aus dem ersten bis dritten
Jahrhundert zu sein, die „über und über mit Blutflecken bedeckt“ ist. Und
ebendiese Blutflecken stimmen mit denen auf dem Turiner Grabtuch überein;
ähnliche Stoffe waren auch in der jüdischen Felsenfestung Masada gefunden
wrden. Die Blutgruppe ist AB – wie auf allen untersuchten Textilien, die über
Europa verstreut in Kirchen und Klöstern zu finden sind und als Tücher gelten,
die bei der Grablegung Christi Verwendung fanden. Nicht nur, dass AB die
seltenste Blutgruppe ist, in Israel macht sie heute ca. 1% der Blutgruppen aus
und je weiter man in der Geschichte zurückgeht, desto seltener tritt AB
überhaupt auf, sogar die genetische Signatur des Blutes ist Haplotyp J, der am
häufigsten bei sephardischen Juden vorkommt. „Die Deformation vieler roter
Blutkörperchen wies zudem auf eine schwere traumatische physische Misshandlung
des Trägers der Tunika hin. Zudem beinhaltete ihr Gewebe die Pollen von Bäumen
und Gräsern ... die in Palästina häufig sind, zudem Sandkörnchen,
Kalksteinstaub und Glimmerspuren aus einem trockenen wüstenähnlichen Gebiet.
Die Wahrscheinlichkeit ist also durchaus nicht gering, dass
es sich bei der Tunika in Argenteuil um das Untergewand Christi handelt. Das
heißt aber nicht, dass es sich in Trier nicht auch um eine echte Reliquie
(gleich wievielten Grades) handelt. Bei dieser könnte es sich um eine
Übertunika gehandelt haben, die über dem Untergewand getragen wurde.
Unbestreitbar ist, dass Helena, die Mutter Kaiser Konstantins, die Anfang des
4. Jahrhunderts viele Ausgrabungen in Jerusalem durchführen ließ, bei denen der
Großteil der nun über Europa verstreuten Reliquien, auch all der Partikel des
Kreuzes, gefunden wurden, ab 307 in Trier residierte und dass dort eine
„bedeutende Herrenreliquie“ verehrt wurde. Erst nach 353 nach Christus wurden
alle wichtigen Reliquien sorgfältig versteckt, um sie vor den Barbareneinfällen
zu schützen, bei denen zahlreiche Siedlungen, Klöster und Kirchen nebst allem,
was darin war, verbrannt wurden.
Fazit: Niemand wird beweisen können, dass im „Heiligen Rock
zu Trier“ tatsächlich Fasern von Kleidungsstücken enthalten sind, die Jesus
selbst einmal getragen hat; aber es gibt doch immerhin einige Indizien, dass
dem so sein könnte.
Nun gibt es einige, die gerne sagen, es sei ohnehin
bedeutungslos, ob eine Reliquie echt sei oder nicht, Hauptsache, man nehme sie
zum Anlass zu frommen Übungen aller Art. Dem stimme ich nicht zu. Etwas als
Reliquie auszugeben, was eindeutig keine ist, wäre letztendlich ein Betrug oder
Selbstbetrug. Und eine Wallfahrt bei der es vor allem um das
Gemeinschaftsgefühl und emotionale
Erlebnisse geht, wäre gar keine wirkliche Wallfahrt. Die meisten, die nach
Trier kommen, werden es tun, weil die gezeigte Tunica zumindest Fasern von
einem Gewand enthält, von dem man Grund hat, zu vermuten, dass es ein Gewand
war, das Jesus einmal trug, weil wir Menschen gerne etwas Greifbares von
jemandem haben, andem wir interessiert sind, etwas das ein Gefühl von Nähe
vermittelt. Und dazu würde ein T-Shirt aus dem Supermarkt, das man
gemeinschaftsfördernd als etwas bezeichnet, von dem jeder weiß, dass es das
nicht ist, nichts nützen.
Und wer weiß, heutzutage wird kaum jemand nach Trier zum
Heiligen Rock pilgern, weil er eine wundersame Heilung erwartet, aber das
schließt nicht aus, dass es geschehen könnte. Wunder sind Zeichen, die die
Authentizität und Wahrheit von etwas bestätigen und so den Glauben stärken. Sie
sind nie Selbstzweck. Eine Stärkung des Glaubens aber könnten wir hierzulande
wirklich gebrauchen.
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