Ich nenne es mal so, denn „sex appeal“ scheint mir nicht
angemessen. Meine Familie wurde auch schon von einer Frau heimgesucht, die eine
solche Ausstrahlung hatte, Lebenspartnerin Nr. 3 meines Buders. Meine erste Bekanntschaft mit
ihr war die Stimme. Ich goß die Blumen im Treppenhaus, als eine harte, kalte
weibliche Stimme meinen damals knapp 4-jährigen Neffen zusammenstauchte (er sei
egoistisch und verzogen), der bei der anstehenden Autofahrt ein bestimmtes Lied
auf CD hören wollte. Ups! Ein paar Stunden stellte die Dame sich mir persönlich
vor. Es war ein richtig kalter Wintertag. Sie trug einen Ausschnitt, der knapp
über den Brustwarzen endete, ein Röckchen, das irgendwie gerade noch das Gesäß
bedeckte und ein Make-up, das ihren ohnehin großen Augen in etwa Kuhgröße
verlieh aber am denkwürdigsten war die Vorstellung: „Ich bin sterilisiert, also
gibt es keine Kinder mehr, das Haus ist mir völlig egal, ich hab ja meine
eigene Wohnung und ich liebe ihn ja so sehr, der erste, der sich wirklich um
mich kümmert.“ Also, Punkt 1 war ein richtiger Fauxpas, um sich bei einer
katholischen Familie beliebt zu machen. Punkt zwei: am nächsten Tag fing sie an,
die Wohnung meines Bruders komplett aus- und umzuräumen (die rote Laterne im Fenster sorgte ringsum für Spott und Hohn danach) und alles wegzuwerfen, was ihr missfiel; ich
rettete Geschenke der Oma aus dem Müllsack, etwas später wurde leider mein
Schreibtisch, den mein Bruder bis dahin annektiert hatte, Opfer des Sperrmülls,
bevor ich davon wusste; in meinem Briefkasten fanden sich plötzlich
Zigarettenkippen (sie war Kettenraucherin) und – ich hatte mittlerweile die Wohnung
gewechselt – jemand bestellte in meinem Namen bei einem Versand Dinge (ich war
da vor Jahren Kunde gewesen und die Hefte kamen noch gelegentlich in den alten
Briefkasten). Zu Punkt 3: die Liebe war anscheinend so heftig, dass sich das
Paar gelegentlich auf offener Straße minutenlang derart abknutschte, dass man
sich bei zufälligem Vorbeikommen fragte, ob die Kleider gleich auch noch auf
den Asphalt fallen. Bekannte aus umliegenden Dörfern machten Bemerkungen über
die Auftritte der beiden als Besucher von Weinfesten.
Und es gab ein seltsames Phänomen: viele Leute, selbst
Frauen, waren zunächst völlig von ihr eingenommen. In erster Linie waren es
aber die Männer. Ob sie im Ausschnitt oben oder unten oder in den übergroßen Augen
versanken, weiß ich nicht. Sie schwärmten von der schönen Frau. Das gab sich
gewöhnlich erst, wenn die attraktive Frau den Mund in ihrer Gegenwart länger
aufmachte. Da waren die Nachbarn, die immer einen Kampfhund halten, der sich
bei ihnen innerhalb weniger Wochen in eine Art schwanzwedelndes Schoßhündchen
verwandelt, egal, wie das Tier zu ihnen kommt. Bei ihnen brach die
Verzauberung, als ihr Hund beleidigt wurde. Ein ganzer Trupp ging auf Abstand,
als beim Public Viewing eines Fußballspiels plötzlich eine Knutschszene
hingelegt wurde (man fühlte sich beim Fußball dann doch sehr gestört) und
später als die „gut aussehende“ Frau eine Schlägerei in der Gastwirtschaft
anfing. Bei meinem Bruder dauerte das alles länger; es musste so einiges
Mobiliar zu Bruch gehen. In der Zeit ließ er sich auch einen Teufel
eintätowieren, dekorierte sein Auto mit einem solchen. Sie ließ sich auch gerne
als Teufelin anreden und konnte herzzerreißend vortragen, dass sie zum
christlichen Glauben gefunden habe. Irgendwann, bis dahin mieden ihn schon
einige Leute mehr, hatte auch mein Bruder genug und suchte sich was Neues. –
Und einige Frauen ergingen sich in Mitleid für die Arme, Abservierte, völlig
blind für deren massives Fehlverhalten: Die arme Frau, die es schon so oft so
schwer hatte und ihn doch immer noch liebt.
An all das fühle ich mich sehr erinnert, wenn ich sehe, wie
die Mehrheit der männlichen Berichterstatter und auch ein paar Frauen immerfort von den drei armen, schwachen,
verfolgten Mädchen (!) daherschwafeln, die so selbstaufopfernd gegen einen
bösen Diktator protestiert haben und so unschuldig waren, dass ihnen gar nicht
klar war, dass sie sich ausgerechnet vollkommen versehentlich den Altarraum
einer Kirche dazu ausgesucht haben, und nicht irgendeiner, sondern einer, die
erst seit wenigen Jahren wieder steht, weil sie von den Sowjets niedergerissen
worden war und dass sie orthodoxe Gläubige beschimpft haben, muss man ihnen
nachsehen, schließlich ist, wer so einer Kirche anhangt, deren Hierarchie schon
immer Kompromisse mit den jeweiligen Herrschern zuneigte, sebst schuld und wenn
er es wagt, sich darüber zu beschweren, zeigt dass nur, dass er gar kein wahrer
Christ ist, der immer die andere Wange hinhält und dass er vollkommen
mitleidlos ist, ein echter Pharisäer.
Genauso wie es vollkommen logisch war, dass ukrainische
Durchgeknallte als Protest gegen die stattfindende Repression durch die russisch-orthodoxe Kirche gegenüber
diesen unglücklichen Mädchen ein Gedenkkreuz an die vielen tausend Todesopfer
der griechisch-katholischen Kirche umsägten, die in sowjetischen Straflagern
gestorben sind. (Möglicherweise hatte damals auch die Orthodoxie ein Interesse
an der Beseitigung der Abweichler gehabt, aber man bemüht sich da schon lange
um Aussöhnung mit den ehemaligen Verfolgern.) Jede Spur von Empörung über den
Protestakt weiterer mutiger Frauen zeigt nur, dass diese Katholiken den Tod ja
verdient hatten, weil sie Teil einer Gruppe sind, die solch armen mutigen
Frauen verweigern möchte, so richtig auf ihre Unterdrückung aufmerksam zu
machen und die sich ja sowieso nicht christlich verhalten, weil sie gegen so
wichtige Aktionen protestieren. Natürlich nur aus Unbarmherzigkeit und
Frauenfeindlichkeit.
Und gar noch die Staatsgewalt anzurufen, um von der gegen
diese armen unschuldigen ganz wehrlosen Frauen verteidigt zu werden. Echt
unglaublich. Aber so geht das schon seit Jahrhunderten, hat doch auch
Augustinus irgendwann nach jahrelangen vergeblichen Verhandlungsversuchen die
römische Staatsgewalt um Hilfe gebeten, um zu verhindern, dass die Anhänger der
Donatisten weiterhin Dörfer niederbrennen, unter Todesandrohung zur Konversion
zwingen und besonders Halstarrigen, bei denen auch Prügel nichts nutzen, Säure
ins Gesicht schütteten. Da hat sich doch schon damals die unselige Verquickung
von Kirche und Staatsgewalt gezeigt. (Ironiemodus aus)
Angesichts solcher Logik kann man tatsächlich aufgeben, noch
auf objektive Beurteilungen zu hoffen.
Meine Güte, ich habe als Katholik doch wirklich keinen
besonderen Anreiz, mich ausgerechnet für die russisch-orthodoxe Kirche einzusetzen, unter der Angehörige meines
eigenen Bekenntnisses zum Teil schwer gelitten haben und die mich –
möglicherweise – ohnehin nicht als vollwertigen Christen betrachtet, weil ich
ja nicht der Orthodoxie angehöre.
Aber ich bin nun einmal schon seit vielen Jahren Mitglied
bei einer Menschenrechtsorganisation, und sehe, dass hier Personen zu
Verteidigern der Menschenrechte stilisiert werden, die sie selbst bedenkenlos
und rücksichtslos anderen nicht zuerkennen wollen. Sonst hätten diese
Protestler bedacht, dass sie gerade auf denen herumzutrampeln, die selbst
jahrzehntelang Opfer eines repressiven Regimes waren. Statt sich in irgendeiner
Weise zu solidarisieren, haben sie die ebenfalls mit Repressalien wohl Vertrauten noch angegriffen. Nicht an der Seite des
gemeinsamen Opponenten sondern als wohlfeiles Opfer, auf dessen Kosten man sich
gut profilieren kann. Zwei Fliegen mit einer Klappe erledigt sozusagen: die
Regierung un deren ehemaliges Opfer, gegen dessen Eliminierung man vermutlich
gar nichts gehabt hätte.
Ach, könnte man doch all den gewogenen Berichtestattern ein
paar Wochen Gesellschaft mit den wundervollen bedauernswerten Mädchen ermöglichen, um sie so richtig gut
kennenzulernen! Ich vermute, die meisten wären relativ schnell von
mitleidtriefendem Pathos kuriert, wenn sie in den Genuß kämen.
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