R: Wie schön, dass Sie einmal vorbeikommen. Leider hat
bisher sonst noch niemand unser Angebot wahrgenommen,unser vorbildliches Haus
„Deutsches Evangelisationsmodell“ zu besuchen, um dort Impulse für die eigene
Gestaltung zu finden.
I: Oh, bitte entschuldigen Sie. Wir waren nur eben sehr
beschäftigt, bei uns den Grobbau neu zu konstruieren. Die ersten
Bestandsaufnahmen hatten gezeigt, dass es zumindest einer teilweisen Entkernung
bedufte, bevor wir an eine Ausgestaltung der Räume bei uns denken konnten. Es
hatte da architektonische Änderungen gegeben, duch die das Gebäude
einsturzgefährdet geworden war. Wir haben jetzt die älteren tragenden
Konstruktionen wieder eingefügt. Vielleicht wissen Sie auch, dass wir recht
knapp mit den Finanzen waren, und wir mussten eine wenigstens hinlängliche
Unterbringung aller Bewohner garantieren und diese dazu motivieren, sich selbst
eifrig an allen Arbeiten zu beteiligen, auch wenn das zunächst einige Opfer von
allen erfordert. Aber jetzt sind wir soweit, dass wir uns weiter
fortgeschrittene Häuser ansehen können, um über die Details der weiteren
Baumaßnahmen zu entscheiden. (Bleibt stehen und bewundert den Palast in den
gepflegten Parkanlagen.) Wirklich beeindruckend!
R: (zurückhaltend) Nun ja. Ich denke auch oft, dass es ein
erhebender Eindruck ist. Aber solche Äußerlichkeiten sind nicht das
Entscheidende.
I: Es ist ... , es verschlägt mir fast die Sprache. Wir
haben da noch einen sehr weiten Weg vor uns, wie es aussieht. Unser
Evangelisationshaus ist noch sehr rustikal. Wir haben selbst Brunnen graben
müssen, weil die alten Versorgungsrohre marode waren – kein Vergleich mit
diesen Springbrunnenanlagen. Und der Elektrizitätsanschluss fehlte auch, darum
haben wir zunächst Solarzellen auf denn Dächern montiert, jetzt bekommen wir
unsere Versorgung quasi direkt vom Himmel (lacht) und sind nicht mehr auf
Fremdleistungen angewiesen. Aber das hat zunächst alle verfügbaren Ressourcen
geschluckt. So ein Park, das wäre schön, allen so eine Freude für die Augen
bieten zu können.
R: Nicht wahr? Also,
zugegeben, wir hatten da auch Engpässe und es war strittig, ob wir die
Erhaltung garantieren konnten. Die Lösung war einfach: Wir haben das verkauft
und sind nur noch als Pächter hier.
I: Oh! Verkauft. Den ganzen Park?
R: Ja. Und diesen Palastkomplex.
I: Das ist also gar nicht Ihr Modellhaus?
R (amüsiert): Aber nein, Das wäre doch wohl sehr unpraktisch
gewesen. Wir haben das nur als Kulisse erhalten und können es für
Repräsentationszwecke nutzen. Unser Modellhaus ist hier drüben, das ehemalige
Wirtschaftsgebäude. Alles dort ist sehr praktisch und zweckmäßig.
I: Ich verstehe. Ja. Nun, das ist auch deutlich imposanter
als unser im Umbau befindliches Haus. Vielleicht ein wenig kleiner in der
Gesamtfläche.
R: Aber ja doch. Ich werde Ihnen einige unserer besten
Einrichtungsteile dort zeigen. Treten Sie nur ein. Hier direkt in der
Eingangshalle präsentieren wir die Pokale, mit denen wir unsere fähigsten
Mitarbeiter ausgezeichnet haben in der letzten Jahren. Wir haben da an nichts
gespart. An einem Haus wäre Gold zu prunkhaft, aber unsere Mitarbeiter sollen
uns schließlich etwas wert sein.
I (betrachtet die Pokale, Trophäen und Gedenkteller und
–münzen): „den eifrigsten Dachabdeckern“, „den Spezialisten für Unteminierung“,
„fähigster Konstrukteur von Traumhäusern“, „die revolutionärste These des
Jahres“ – Dachdecker, Architekten, Ingenieure, ja, die sind wirklich
unbezahlbar! (murmelt: aber merkwürdige Schreibfehler bei den Texten).
R: Kommen Sie nur weiter. Hier wäre also unser Salon. Ist er
nicht lichterfüllt? Und sehen Sie die Ecke da mit dem Sessel und dem Tischchen
daneben. Das ist eine ungeheuer kostbare Vase darauf und die Decke darunter
reine Spitzenklöppelei. Das Fenster daneben doppelt verglast und der grandiose
Ausblick auf die Anlagen.
I (sieht sich etwas verwirrt um): Ja, sicher, es ist schön. Die
Vase. Und die Spitzendecke. Und der Sessel, sehr anziehend. Ähm, würde es nicht
besser wirken, wenn man das alles ein wenig nach innen rücken würde? Der Raum
erscheint so leer in der Mitte. Nicht, dass ich etwas kritisieren will,
wahrscheinlich verstehe ich nur noch nicht Ihr Konzept. Und diese Anhäufung da
drüben. Ich weiß, das kann es nicht sein, aber von hier sieht es aus wie nicht
aufgeräumte Trümmerstücke.
R (etwas unangenehm berührt): Wir wollen doch nicht gleich
die Mängel betonen!? Ja, das sind Trümmerstücke. Die sind letzte Nacht heruntergebrochen
und es hatte noch niemand Zeit, sie wegzuräumen. – Und das Arrangement. Na,
sehen Sie denn nicht? Wenn wir das woanders hinstellen, wäre es schnell nicht
mehr in gutem Zustand. Nur dort hinten schützt die Zimmerdecke ausreichend
gegen Niederschläge. Bei ungünstiger Witterung decken wir natürlich auch alles
mit Planen ab. Wir haben recht exzellente Ausrüstung gegen die klimatischen
Unbilden. Ich zeige Ihnen gleich einmal meine Regenjacke, ein Markenprodukt
bester Qualität!
I (richtet den Blick nach oben): Die Zimmerdecke. Äh. Und
das Dach. Das ist ja alles aufgebrochen und die Ziegel sind zum Großteil
abgedeckt ....
R (nickt stolz): Ganz evangeliumsgemäß. Sie erinnern sich an
die Geschichte mit dem Gelähmten, der freien Zugang zum Herrn brauchte? Seine
Freunde deckten das Dach ab! Und die Aussagen des Herrn selbst, dass der
Menschensohn kein Dach über dem Kopf habe. Unsere Dachabdecker und
Dekonstrukteure haben nicht umsonst soviele Auszeichnungen erhalten.
I: Ah. Ich verstehe. Sehen so alle Zimmer aus?
R: Nicht alle. Sie wissen ja: Mein Haus hat viele Wohnungen! (lacht) Es gibt Gruppen,
die sich in solcher Freiheit unwohl fühlen und auch die heißen wir natürlich
willkommen. Schauen Sie mal hier die ehemalige Besenkammer. Kein Dach, keine
Fenster. Aber eigentlich gar nicht so übel, wie die sich dort eingerichtet
haben. Wir haben natürlich manchmal Mühe, wenn jemand von dort ins Wohnzimmer
kommen möchte und dann dort seine Ideen von Überdachung verwirklichen will,
statt dankbar zu sein für das Licht. Manche – wir können das nicht
nachvollziehen – suchen dort sogar vorübergehend Unterkunft, in dieser und
ähnlichen Kammern und es kostet dann einige Mühe, bis sie wieder von den
Vorstellungen lassen, die sie sich dort erwerben und mit denen sie die Harmonie
ins Wanken bringen. Wobei nicht alles schlecht ist, was sie mitbringen und wir
freuen uns natürlich über jeden, der unseren Hauptraum bevölkert.
I: Ja. Hmm. Die Bewohner. Ist es denn nicht recht leer hier?
Ich gebe zu, bei uns ist es eher überfüllt und wir werden den Bedürfnissen
vieler einfach noch nicht gerecht. Aber hier ...
R (winkt ab): Sie müssten das mal sehen, wenn wir hier
Innengrillfest machen, da strömen Scharen herbei. Scharen! Die fassen die
Mauern hier kaum. Und gerade eben – hören Sie nicht das Stimmengewirr von
nebenan? Gehen wir mal schnell rüber in unsere Traumaula, das ist der
zentralste und aktivste Raum hier.
I (bestaunt einen Kreis von mit bunten Farben beschriebenen
und bemalten Plakaten, in dem sich sich ein annähend eiförmiger Ring von
Stühlen befindet, die zu kleinen Gruppen zusammengerückt wurden, in denen sich
die Menschen angeregt, teilweise sogar recht erregt unterhalten. Viele tragen
eine Art Stelzen oder Plattfomschuhe verschiedner Höhe.)
R: Sehen Sie? Wieder die leere Mitte, in der das Göttliche
materialisiert und symbolisiert ist und das Licht, das sich von oben auf alle
ergießt? Ich fasse unsere Inspirationen regelmäßig zusammen und schicke sie
nach Rom, damit endlich einmal alle davon profitieren können, leider lassen die
Reaktionen dort bisher sehr zu wünschen übrig. Man hat bisher keinerlei
Anstalten gemacht, den Petersdom abzudecken, zum Beispiel, und die Vorsitzende
des Frauenkreises hat in ganzen zehn Jahren keine würdigende Antwort auf ihre
Kandidatur für die nächste Papstwahl erhalten. Die Ideen unserer
Dekonstrukteuere werden einfach nicht aufgegriffen. Vielleicht sollten Sie das
einmal dort vortragen, nachdem Sie hier alles bewundern konnten?
I (will in den Raum treten): Ich würde gerne einmal mit den
Menschen hier sprechen!
R (entsetzt): Halt! Der Dialog findet hier NUR auf Augenhöhe
statt. Bevor Sie in diese heiligen Hallen treten, müssen Sie sich erst
Gehförderungen anpassen lassen, die Sie exakt auf Augenhöhe mit allen anderen bringen.
Wir können das gleich in Auftrag geben und morgen können Sie dann teilnehmen.
Mit Gaststatus ohne Stimmrecht natürlich.
I: Oh, das war mir nicht klar. Nein, morgen muss ich schon
wieder zurück sein. Wir haben wirklich viel Arbeit.
R: Wir können Ihnen gerne ein paar unserer Fachfrauen und
Fachmänne vorbeischicken!
I: Wie freundlich von Ihnen. Uns ist jeder willkommen. Nur
warnen Sie die Leute vor, dass die Verhältnisse bei uns etwas anders sind.
R: Wir sind gerne bereit Opfer zu bringen, damit alle alles
im selben Licht sehen wie wir hier.
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