Teil 1 ist zum Thema: Wie gehe ich mit Menschen um, die
gerade beten? – Für mich war das eigentlich immer völlig klar und selbstverständlich. Wenn
jemand betet, warte ich in der Nähe, bis er sein Gebet beendet hat. Und es ist
völlig egal, welcher Religion dieser Betende angehöt; es geht um etwas oder
jemand Gößeren als mich und ich platze nicht in so eine Art Audienz, die der
andere dort hat, hinein, um mich vorzudrängen. Das ist einfach ungehörig. Wenn
es lange dauert, nehme ich es zum Anlass, vielleicht selbst auch zu beten,
während ich warte. Wenn es zu lange dauert, muss ich ein andermal wiederkommen.
Dem heiligen Augustinus war es auch so gegangen, bevor er
Christ wurde. Er hatte das sehr dringende Bedürfnis mit dem Bischof Ambrosius
von Mailand zu sprechen, nachdem er dessen Predigten gehört hatte. Dessen
Arbeitszimmer war auch zugänglich. Nur, wenn dieser keine dringenden
Angelegenheiten hatte, um die er sich kümmern musste, griff er sofort zu den
Heiligen Schriften, um über diesen Texten zu betrachten und zu beten, weil er
dazu insgesamt wenig Zeit dafür fand. Und Augustinus stand meist nur an der Tür
und wartete, ging oft nach langer Zeit weg, um am nächsten Tag wiederzukommen.
Zu den ersehnten Gesprächen mit Ambrosius kam es nicht, aber seine Sehnsucht,
die heiligen Schriften zu lesen, wuchs an diesem Beispiel und erlosch nicht
mehr.
Oder vielleicht kennen viele Szenen aus Fernostfilmen, in
denen der Held oder die Heldin dringend einen weisen Mönch sprechen möchte.
Meistens muss viel gewartet werden und Drängen ist eher kontrapoduktiv. Also
wird gewartet. Gebete und Meditationen zu unterbrechen ist völlig indiskutabel.
Ich habe es schwieriger. Ich schaffe es nicht immer, das
Stundengebet dahin zu legen, wo ich völlig ungestört bin. Manchmal muss es beim
Frühstück mit den Eltern mit dazu, als Parallele zur Zeitungslektüre oder ich
bin mit anderen unterwegs. Da alles andere zu Verdachtsmomenten führt, a) ich
sei zu fromm, das sei doch sektenmäßig oder b) ich wolle doch nur angeben,
lasse ich mich ansprechen, wie es nötig ist. Das scheint die andern zu
beruhigen. Was ich nicht tue, ist es ganz sein zu lassen, wie schon der eine
oder andere gefordert hat, der sich durch sichtbares Gebet gestört fühlt. Und
ich gestehe, ich wünschte, es wäre selbstverständlich, mir wichtige Gebete
einfach in Ruhe und selbstverständlich und ohne Unterbrechung haben zu können.
Aber das ist kaum noch vermittelbar.
Völlig unmöglich sollte es eigentlich jeder finden, eine
Gruppe, die sich in ihren eigenen Räumen zum Gottesdienst versammelt rüde zu
unterbrechen. Für mich selbst ist die Vorstellung schon abwegig und völlig
indiskutabel. Aber offensichtlich hat sich selbst hier die allgemeine
Sensibilität extrem gewandelt. Und irgendwie scheint das in erster Linie,
Gottesdienste in kirchlichen, bevorzugt katholischen Räumen zu betreffen.
Jedenfalls habe ich noch nicht gehöt, dass Demonstranten irgendeiner Couleur
muslimische Freitagsgebete oder jüdische Versammlungen in der Synagoge
unterbrochen haben. Störaktionen bei der heiligen Messe habe ich allerdings
schon selbst erlebt. Zweimal bereits. Gut, das eine war nur ein Betrunkener,
der sich in die Osternachtsfeier verirrt hatte; der wurde von ein paar starken
Männern hinausbegleitet. Das andere war auf einem Katholikentag und da diese
Störer Wiederholungstäter waren, wurdenn sie auch mit entsprechenden
gesetzlichen Strafen bedacht.
Insgesamt ist das Bedürfnis einiger, gerade Gottesdienste
und Gebete zu unterbrechen doch äußerst merkwürdig und kaum zu erklären. Es
spiegelt eine Gesellschaft wider, die jede Achtung vor andern und sich selbst
verloren hat. Und in der so tiefer Hass ist, dass andeen selbst Menschenrechte
(Religionsausübung im eigenen Bereich) nicht mehr zugestanden werden.
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