Oremus pro Pontifice nostro Franzisco.

Dominus conservet eum et vivificet eum

et beatum faciat eum in terra et

non tradat eum in animam inimicorum eius.

Sonntag, 5. August 2012

Fehlende Inventur

In Aufarbeitung angehäufter Nachrichten stieß ich auf ein Zenit-Interview vom 11. Juli dieses Jahres mit Erzbischof Dr. Robert Zollitsch zur Neueangelisation. Ich blieb an diesem Satz hier hängen:
"Dann möchte ich im Rat natürlich die Erfahrungen der Neuevangelisierung aus Deutschland vermitteln. Wir haben da ja schon spannende und längerfristige Aufbrüche. Die deutschen Bischöfe haben das Anliegen des Heiligen Vaters bereits vor zwölf Jahren in ihrer Schrift „Zeit der Aussaat – missionarisch Kirche sein“ grundgelegt."

Ich will das sicherheitshalber paraphrasiert wiederholen: Erzbischof Zollitsch möchte der Neuevangelisation aufhelfen, indem er auf die Erfolge in diesem Bereich in Deutschland (er muss unser Deutschland meinen, es gibt sonst meines Wissens kein Deutschland) hinweist, wo die Aufbrüche, die andern zum Beispiel werden können, schon zum Teil zwölf Jahre oder länger geschehen sind, so dass man bereits große Erfahrung hat. Denn der Aufruf des Heiligen Vaters hat ja nur etwas thematisiert, was die deutschen Bischöfe schon lange erkannt und in Angriff genommen haben.


(Das Smiley-Zeichen an dieser Stelle wäre vermutlich ein facepalm ...)


Natürlich möchte ich niemandes Verdienst schmälern, der sich innerhalb Deutschlands schon für die Neuevangelisation engagiert hat. Es gibt da viele, die tatsächlich ihre Leben und Freizeit hineininvestieren. Ich kann da sogar aus eigener Erfahrung sprechen: Stunden, Tage, Wochen, die in die Vorbereitung von jugendgemäßen Katechesen gingen, die selbst komplexere Sachverhalte der katholischen Glaubenslehre so erklären, dass ein 12-Jähriger sie verstehen kann und das ohne Verwässern und Verfälschen, zum Beispiel.

ABER - und hier spreche ich auch aus vielfacher Erfahrung - nachdem mühsam ausgesät und sorgfältig erstbewässert wurde, kamen die zarten Pflänzchen, die zu wachsen begonnen hatten, in die Pfarreien, in die diese jungen Menschen zurückkehrten.
Da gab es die Eltern, die sich die Unterstützung des diözesanen Sektenbeauftragten holten, weil es anormal war, dass ihr Sohn plötzlich den Wunsch hatte, täglich zu beten. Und der Sektenbeauftragte bestätigte, dass diese römisch-katholische Gemeinschaft, die schon Jahrzehnte alt ist und nie in Konflikt mit kirchlichen Behörden geriet, eine Sekte sei.
Da gab es den Pfarrer, der den nachfragenden, plötzlich verunsicherten Jugendlichen erklärte, dass, was ihnen da gesagt worden sei, sei zwar Lehre der katholischen Kirche aber normale Menschen könnten sich daran nicht halten, das sei nur etwas für ein paar besonders Fromme. Gerade was Sexualmoral angeht, sei es hierzulande und heutzutage völlig üblich, dass ... und genauso sollten sie es halten.
Und da gab es das schleichende Ersticken der aufkeimenden Pflänzchen im eigenen und im Pfarralltag.
Es gab auch Berufungen. Zwei Ordensschwestern, eine Handvoll Priester, Diakone und engagierte Mitarbeiter in den Pfarreien.

Aber um eine ehrliche Inventur zu machen. Bei vielleicht zehn Menschen konnte ich mitbeitragen, dass sie zu überzeugten und überzeugenden Christen werden. Bei einigen hundert konnte ich das nicht.
Das Zeugnis, das ich und andere gaben, und das viele hatte aufhorchen lassen, wurde in den Familien, Pfarreien, in der Schule, auf der Arbeit, von Nichtgläubigen, Christen und geweihten Personen in vielen Fällen systematisch kleingeredet, angezweifelt, verächtlich gemacht und der Wirksamkeit beraubt. In noch mehr Fällen wurde es einfach überwuchert von anderen Beispielen, von den vielen, die das "tu, was du willst und wann du willst und lass dir von niemandem dreinreden" tagtäglich vorlebten.

Das ist kein Klima der Neuevangelisation.

Oder nehmen wir die Pfarrgemeinde, in der ich lebe. Sie beschreibt sich ganz gern als lebendig und offen. In der Tat gibt es zahlreiche Veranstaltungen. Natürlich die Katechesen. Gruppenstunden. Vorträge der Erwachsenenbildung. Einen Kirchenchor. Einen Jugendchor. Eine Gitarrengruppe. Das Pfarrsommerfest. Es werden Dinge getan und einige investieren ungeheuer viel von ihrer Zeit dafür.

Nur darf man nicht tiefer graben. Selbst von den wenigen Kirchgängern, geht fast niemand mehr zur Beichte. Es gibt kaum eine (jedenfalls keine, die ich kenne) katholische Familie vor Ort, in der nicht jemand unverheiratet mit einem anderen zusammenlebt oder eine zweite bis x-te Zivilehe oder Parnterschaft eingegangen wurde. In den meisten Familien gibt es Kirchenaustritte. Andere entschließen sich nicht zum Austritt besuchen aber nie einen Gottesdienst. Es gibt so gut wie kein Sündenbewusstsein außer dem, eine Diät nicht eingehalten zu haben. Jede Entscheidung, die jemand getroffen hat, gilt für jeden selbst quasi als sakrosankt und Gott kann (und darf) dazu keine andere Meinung haben. Es ist normal zu lügen. Es ist normal zu betrügen. Es ist normal zu konsumieren, was des Weges kommt ob Filme, Bücher, Nahrungsmittel, Gelegenheiten, Menschen - mit der einen Ausnahme, es darf kein Übergewicht erzeugen. Natürlich tut man auch dem einen oder andern etwas Gutes und spendet, oft sogar großzügig.

Christen in Deutschland unterscheiden sich in ihrer Großzahl nicht von ihren nicht-christlichen Nachbarn. Sie sehen die gleichen Filme, lesen die gleichen Bücher, teilen die gleichen Meinungen und verurteilen die "Amtskirche". Sie konsumieren gelegentlich Gottesdienste und sakramentale Handlungen, weil sie nicht strikt antikirchlich sind wie ein paar andere gesellschaftliche Gruppen.
Sie sind - rein juristisch gesehen - keine schlechten Menschen. Sie sind oft sogar ganz freundlich, mitmenschlich und sozial engagiert, was alles positiv ist.
NUR, Jesus Christus ist nicht ihr Herr, dessen Meinung sie ihre unterordnen würden, sie folgen keiner verbindlichen Lehre, die offiziell als christlich gilt, sondern ihren Gefühlen und Eindrücken. Sie versuchen aus diesem Leben soviel wie möglich herauszuholen, weil die Sache mit dem Jenseits oder gar der Ewigkeit zu vage ist, um in irgendeiner Weise darauf ausgerichtet zu sein. Man geht davon aus, dass sowieso alle in den Himmel kommen, außer vielleicht irgendwelchen ganz schlimmen Verbrechern wie massenmordende Regierungschefs und Priester, die sich sexuell gegen Kindern verfehlt haben. Sexuelle Verfehlungen gegenüber Erwachsenen sind aber gar keine, das ist alles nur individuelle Lebensgestaltung, die gutgeheißen werden sollte.

Falls wir wirklich Inventur machen: Solche Christen sind keine Christen, auch wenn sie getauft sind; es sind nur mehr oder weniger nette Heiden.
Und falls wir Inventur machen: Alle unseren glorreichen Initiativen hierzulande haben es zwar geschafft, dem einen oder anderen zu helfen, aber im Großen und Ganzen sind sie gescheitert.
Hier könnte man Schuldzuweisungen machen oder Probleme aufzählen. Doch wozu? Es wäre ein gewaltiger Schritt weiter, sich das Problem erst einmal einzugestehen!

Es ist in keiner Weise hilfreich, das schönzureden und genau das hat Erzbischof Zollitsch getan. Er hat bisher keine ehrliche und schonungslose Inventur gemacht. Denn es liegt ihm anscheinend nicht, bei jemandem anzustoßen. Er möchte auch als nett gelten, das Heiligkeitsideal der  weitgehend wertelosen Gesellschaft. Er will allen wohl und niemandem weh. (Die Mainzer können hier einmal grinsen, das war einmal Motto beim MCC, dem Mainzer Carnevals Club.) Und darum wird er auch kein Übel erkennen und beseitigen können. Die Wahrheit ist schmerzlich und erschreckend. Welcher Bischof aber wird den Mut haben, sie beim Namen zu nennen, so laut und so hartnäckig, bis alle auf das Desaster sehen müssen, das sie bis jetzt geflissentlich übersehen und mit hübschen Mäntelchen versehen haben?

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen