Oremus pro Pontifice nostro Franzisco.

Dominus conservet eum et vivificet eum

et beatum faciat eum in terra et

non tradat eum in animam inimicorum eius.

Freitag, 23. März 2012

Täter, Opfer und null Toleranz

Aus gegebenem Anlass, möchte ich hier einmal kurzgefasst das wiedergeben, was ein Bekannter zu sagen hat. Ich habe mich bemüht, alle Details herauszunehmen, die ihn identifizierbar machen. Seinen Namen habe ich natürlich sowieso geändert. Vielleicht ist er ein Ausnahmefall. Vielleicht gibt es noch mehr wie ihn. Denn wer erfährt so etwas? Er hat mich nicht beauftragt das zu schreiben. Er resigniert eher und hat Angst, dass, gleich was er tut, alles nur noch schlimmer wird. Also, hier seine Geschichte:


"Mein Name ist Josef. Ich bin Priester – und Sie sind alle meine Richter.  Bevor Sie das endgültige Urteil fällen, nehme ich dankend die Möglichkeit an, wenigstens alles aus meiner Sicht schildern zu können:
Zu meiner Berufung fand ich, als ich als Jugendlicher schwer verletzt im Krankenhaus lag und der Ortspfarrer mich besuchte. Er setzte sich zu mir und betete den Rosenkranz. Dabei wurde mir klar, dass ich in Maria eine liebende Mutter habe.  Das war für mich sehr wichtig. Denn meine Mutter hatte mich nicht gewollt, meinen Vater kannte ich nicht. Ich durfte nur leben, weil eine Verwandte sich bereit erklärt hatte, mich großzuziehen. Dort wuchs ich auf, meine Mutter sah ich selten. Ich wollte sein wie dieser Pfarrer, der Kranke besucht und Verlassenen wie mir eine Mutter zeigt.
Weil ich mir meiner Berufung bald sicher war, interessierte ich mich nicht für partnerschaftliche Beziehungen. Ich konzentrierte mich darauf, das Abitur zu machen, was ich ursprünglich nicht geplant hatte. Auch wusste ich ja, dass ich als katholischer Priester nie heiraten werde, warum hätte ich mich da nach Mädchen umsehen sollen?
Am Seminar fühlte ich mich als Außenseiter. Besonders meine marianische Frömmigkeit musste ich oft verbergen, um nicht als naiv ausgelacht zu werden.  Ich hoffte natürlich dennoch, gute Freunde zu finden und ließ mich in der Sehnsucht nach Annahme in eine Gruppe ziehen, die homosexuelle Handlungen praktizierte. Ich brachte es nicht über mich, bei allem mitzumachen und ein echter Freund half mir, mich von diesen Leuten wieder zu distanzieren.
Ich wurde Kaplan und engagierte mich bei vielen seelsorglichen Tätigkeiten, die mir oft große Freude machten. Aber die innere Einsamkeit verging nicht völlig dadurch. Ich achtete auf mein geistliches Leben und hielt viele gute Kontakte. Meine Krise begann, als ich unerwartet  und vorzeitig als erste Pfarrstelle eine sehr schwierige Gruppe von Pfarreien übernehmen musste. Die vielen notwendigen Arbeiten, mit denen ich zurande zu kommen versuchte, ließen mir kaum Zeit für meine bisherigen Freundschaften. Zum Glück, so schien es zunächst, hatte ich eine tüchtige Gemeindereferentin, die gut organisieren konnte.  Ich vertraute ihr sehr und sah sie auch ein wenig wie eine Mutter. Vielleicht zu sehr, denn manchmal schien mir auch, dass sie mich managte wie ihre eigenen minderjährigen Kinder. Ich wurde auch mehr und mehr Teil ihres Haushalts und fühlte mich als älterer Bruder ihrer Kinder.
In einer für mich besonders kritischen Situation begann sie mit sexuellen Handlungen an mir. Ich ließ mich mitreißen. Auch wenn es nie zum Geschlechtsverkehr kam, kam ich nicht mehr von ihr los. Ich war nicht der einzige Priester, der regelmäßig mit ihr zu tun hatte. In dieser Zeit war mir meine Berufung nicht mehr viel wert und ich hatte fast alles über Bord geworfen, was mir wirklich wichtig war. Ich glaube fest, dass es die Jungfrau Maria war, die mir half, dass es niemals zum Schlimmsten kam. Selbst nicht bei der Sache, in der Sie nun über mich zu Gericht sitzen.
Denn unter eher ungewöhnlichen Umständen kam es dazu, dass ich in einer Nacht mit einem meiner Pseudo-„Brüder“ ein Zimmer teilte. Dabei kam es zu einer flüchtigen unsittlichen Berührung. Die Situation sucht mich immer noch in Alpträumen heim. Ich bin mir bewusst, wie verwerflich mein Versuch war, den Jungen anfassen zu wollen und bin unendlich dankbar, dass es mir nicht gelungen ist, mein Ziel zu erreichen.
Danach war ich sehr verstört. Ich kam mit nichts mehr in der Pfarrei zurecht und ließ mich beurlauben. Ich vertraute mich einem Psychotherapeuten an. Dieser forderte mich auf, die Episode meinem Dienstvorgesetzten zu berichten. Als ich das tat, wurde ich zu einer Selbstanzeige aufgefordert. Ich tat auch das, denn ich wollte diese Schuld aus der Welt schaffen. Mir wurde gesagt, man könne die Sache am schnellsten bereinigen, indem ich mich auch zu ein paar Dingen schuldig bekenne, die ich gar nicht getan hatte.  Ich habe dem geglaubt und erhielt die Mindeststrafe auf Bewährung.
Sehr verstört hat es mich, dass ein Mitarbeiter des Bistums mir Informationen über Kontakte mit Prostituierten vermitteln wollte. Ich hatte väterliche Strenge erwartet aber nicht Aufforderung zu noch mehr Sünde. Ich bin nie zu Prostituierten gegangen. Stattdessen suchte ich einen guten geistlichen Begleiter, der mir half, zu meiner Berufung zurückzufinden.
Seitdem nennt man mich pädophil. Mehrere Jahre wusste ich nicht genau, was das ist, bis mich ein Mediziner darüber aufklärte. Und ich bin mir sehr sicher, dass ich nicht pädophil bin. Ich war damals orientierungslos und verwirrt und von der Situation überwältigt. Dafür, dass die Leitlinien der Bischofskonferenz vorschreiben, dass ich nicht in der Kinder- und Jugendseelsorge arbeiten darf, bin ich sogar in vielem dankbar.  Das schützt mich vor falschen Verdächtigungen. 
 Es gibt so viele Menschen, die einen Seelsorger brauchen und oft lange niemanden finden konnten, der ihnen zuhört.
Wenn Diskussionen wie die jetzige losbrechen, dass Täter wie ich (dabei werde ich in einem Atemzug mit Menschen genannt, die über Jahre und Jahrzehnte hinweg auf sehr perverse Art und Weise Kinder und Jugendliche unter Druck gesetzt und missbraucht haben) überhaupt nicht mehr seelsorglich tätig sein dürfen,  habe ich Angst um meine Existenz.  Wovon und wie und wofür soll ich dann leben? Ich weiß, dass das auch eine schlimme Sünde wäre, aber bleibt mir irgendwann nur noch zu sterben? Ich habe doch gebeichtet, meine Strafe abgebüßt, mein Leben wieder neu ausgerichtet.  Ich habe schon meine Alpträume über diese eine Nacht, die mich verfolgen und soviele Auflagen, an die ich mich halte.  Ja, ich habe meine Berufung, meine einzige und die Berufung meines Lebens in einer Zeit des Irrsinns leichtfertig wegwerfen wollen. Ja, ich bin fast in einen furchtbaren Abgrund gesprungen. Fast,  denn ich wurde davor bewahrt.  Und jetzt will ich nicht mehr dort hinunter, aber alles scheint darauf ausgerichtet zu sein, mir jeden mühsam wiedergefundenen Halt zu nehmen und mich dort hinabzustoßen."


2 Kommentare:

  1. *schluck*
    Heftig, sehr heftig! Ich bete in jedem Fall für ihn - unbekannterweise... Oremus pro invicem, Herr Pfarrer!

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  2. @ Sponsa Agni:
    Schliesse mich im Gebet an. Erschuetterndes Zeugnis.

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