Reform ist schon längere Zeit ein Wort, das völlig entgegen seinem ursprünglichen Sinn angewendet wird.
Es hat zwei Bestandteile: die Vorsilbe "re-" und das "form", eine Abkürzung für "formatio", die "Gestaltung". Denn um die "formatio", nicht die "forma" (Gestalt) geht es, wenn das Wort angewendet wird. Es wird ein Prozess durchgeführt, eine formatio, die in einer forma enden soll.
Die Kurzform ist nicht allein dem geschuldet, dass Kürzungen aller Art sehr beliebt sind bei allen Machern (außer denen der eigenen Sicherheiten und Gehälter), sondern dem Fakt, dass der Begriff "Reformation" im Deutschen nur noch in einem sehr engen Sinne als die Krisenzeit verstanden wird, in der sich zahlreiche Christen als "Protestanten" von der römisch-katholischen Kirche zu entfernen beschlossen, woraus die Vielzahl der protestantischen Gemeinden, Freikirchen, Unionen usw. entstand.
Um also Missverständnisse zu vermeiden, spricht man bei allem, was eigentlich eine Reformation ist fast immer von einer Reform.
Aus dem zweiten Teil des Wortes ist also zu erschließen, dass etwas gestaltet wird, um eine bestimmte Gestalt anzunehmen.
Vermutlich halten viele auch schlichte Vorsilben für zu unbedeutend, dass sie eine echte Aussage enthalten könnten. Es sind in diesem Fall ja nur zwei Buchstaben. Auch andere Silben sind gelegentlich in diese Missachtung eingeschlossen, man denke an die vielen Fälle, in denen "Bau" und "Abbau" quasi als Äquivalent betrachtet werden, handelt es sich doch bei beiden um die Raumgestaltung fundamental ändernde Vorgänge.
Betrachtet man das bescheidene "re-" dann doch einmal, erschließt sich folgende Bedeutung: es kommt von "retro", zurück.
Eine "reformatio" (Reform) ist also im Sine des Wortes eine Wiederherstellung der ursprünglichen Gestalt.
Das war den Reformatoren (im engeren Sinne, also den Protestanten) noch klar bewusst. Ihnen ging es (dass der es immer anders geht, als man denkt, wurde leider nicht bedacht) um eine Wiederherstellung der ursprünglichen Gestalt des Christlichen. Alles sollte möglichst exakt so sein, wie Jesus Christus seine Kirche von Anfang an haben wollte. Darum wurde vieles, dass man als relativ neu hinzugekommene Elemente betrachtete, als unnötig befunden und oft auch vernichtet. Ziel aber war die Rückkehr zur eigentlichen Gestalt.
Auch wenn dann vor etwa 40 Jahren eine "Reform" der Kirche gefordert wurde, ging es dabei in den Begründungen für verschiedene Entscheidungen wie z.B. den zahlreichen liturgischen Einebnungs- und Sprengarbeiten nicht darum etwas Zeitgeistgemäßes zu schaffen, sondern von hinzugekommenen "Ballast" zu befreien.
Wie fast immer stellte sich im Lauf der nächsten Jahrzehnte heraus, dass einiges von dem Ballast gar kein unnötiger gewesen war, sondern uraltes Strukturelement und dass die Erkenntnisse der 70er Jahre in vielem ganz und gar nicht mehr dem heutigen Stand der Forschung entsprechen, dass also viele der "Reformversuche" in Wirklichkeit eine Verformung des Eigentlichen waren.
Statt aber dem - in sich positiven - Wunsch der Reform verpflichtet zu bleiben, wurde, wie es scheint, der Begriff in etwas umgedeutet, das wohl besser "Neoform" oder "Novaform" heißen sollte. (Die Begriffe werden jetzt schon von zahlreichen Ökoprodukten verwendet, das bildet wieder eine Schwierigkeit.) Aber es ließen sich bestimmt auch andere finden. Vielleicht "dysform", "kataform" oder "futoroform". Es gibt da sicherlich viele Möglichkeiten.
Sinnvoll wäre es jedenfalls, wenn so ein Wort wieder wenigstens annähernd in seiner eigentlichen Bedeutung eingesetzt würde und die Vorgänge wahrheitsgemäß und nicht irreführend benannt würden.
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