Als ich einer 70-jährigen meine Kritik an der Auslegung von Kardinal Lehmann zu diesem Begriff vortrug, ergriff sie erst einmal seine Partei. Natürlich sei ich nicht durch das Konzil geprägt, ich habe ja nicht erlebt, was für herrliche Jahre des Aufbruchs das waren, mit welchen Hoffnungen das verbunden war und wieviel Befreiendes während des Konzils erlebt wurde.
Schön und gut meinte ich. Aber das Konzil hat Fakten geschaffen und all das geprägt, in dem ich aufgewachsen bin. Ich kenne keine vorkonziliare Welt, also bin ich doch der/die Geprägte. Während sie zwar noch die Erinnerung an etwas Begeisterndes hat (wobei die Begeisterung auch so etwa fünf Jahre nach Ende des Konzils wegdiffundiert zu sein scheint – vielleicht sollte so etwas ja mal zu denken geben), aber ich mit den Fakten aufgewachsen bin, die dieses Ziel geschaffen hat und mit einer Weltsicht, die von seinen Konstitutionen definiert ist.
Sie gab dann zu, das sei wohl schon eine Prägung.
Ich wollte es genauer wissen, also habe ich mal wieder Google bemüht. Und siehe da, es findet sich das Folgende:
Zum Beispiel steht hier:
„ In der Psychologie bezeichnet Prägung die Tatsache, daß sich bestimmt Einflüsse auf den Menschen, wie auch allgemein auf Organismen nachhaltig - gestaltend oder umgestaltend - auswirken (soziokulturelle Prägung: z. B. durch einen bestimmten Beruf, Lebensstandard oder durch eine bestimmte Erziehung).
In der Verhaltensforschung ist eine Prägung ein obligatorischer Lernvorgang, der in einigen Merkmalen von der Konditionierung abweicht. Charakteristisch für sie ist,
- daß sie sich auf eine einzige Bewegung oder auf eine bestimmte Gruppe von Verhaltensweisen bezieht,
- daß sie in der Ontogenese nur einmal, in einer sensiblen Phase, stattfinden kann und
- daß ein nachträgliches Umlernen unmöglich ist.
Man unterscheidet unter einer Objektprägung, bei der die auslösenden Reize für eine bestimmte Reaktion festgelegt werden, und der motorischen Prägung, bei der ein Bewegungsmuster erworben wird.“
Es gibt also eine Definition aus der Psychologie und eine aus der Biologie/Verhaltensforschung. Die psychologische Definition ist die diffusere, sie nennt Prägung alles, was „nachhaltig“ beeinflusst.
Danach sind der Kardinal und meine Bekannte geprägt durch das sich immerhin über mehrere Jahre hinziehende Konzil und die mit ihm einhergehende Stimmung. Und ich bin geprägt durch die auf das Konzil zurückgehende Stimmung der Jahre seitdem. In beiden Fällen wirkt das Konzil prägend, im ersten in Bezug auf hochfliegende Erwartungen, im zweiten in Bezug auf die ernüchternde Realität der Umsetzung so manches daraus Resultierenden.
Nach der Definition der Verhaltensforschung kann überhaupt nur ich durch das Konzil geprägt sein, weil nur ich von den drei in Frage stehenden Personen jung genug war, um in diesem Sinne geprägt zu werden. Denn Prägung in diesem Sinne gibt es nur für Kinder/Jungtiere und nicht für Erwachsene. Wobei beim Menschen selbst diese Art Prägung durchbrochen werden kann, bei Tieren nach etlichen Versuchen zu schließen, wohl nicht. – Da ich nun einmal aus der Naturwissenschaft komme, war mir das auch die vertrautere Definition.
Wobei wir hier auch auf ein interessantes Phänomen stoßen:
Menschen halten wohl gerne an Erfahrungen fest, die sie als positiv empfunden haben, verklären die Vergangenheit und sind nicht oder nur zögernd bereit, sich der Wirklichkeit zu stellen, wenn es sich zeigt, dass manche ihrer Erwartungen auf unrichtigen, unvollständigen oder gar unrealistischen Annahmen basierten, die durch die Erfahrungen und Beobachtungen der folgende Jahre oder Jahrzehnte zum Teil sogar offensichtlich widerlegt wurden.
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