- aber Lüge zerstört immer.
Wie bei allem gibt es natürlich auch bei der Lüge alle möglichen Abstufungen. Und viele Theologen haben schon zahlreiche Voten zu Gunsten der Notlüge abgegeben. Aber mir war schon immer unwohl, wenn ich diese Argumentationen hörte.
Ich persönlich gehöre zu den Leuten, die das Konzept Lüge wohl nie entdecken würden, gäbe es nicht andere. Das ist kein Verdienst und wird wahrscheinlich durch andere Schwächen entsprechend ausgeglichen. Z.B. sturer Stolz „Okay, das war ich. Und was jetzt?“ Einmal hat mir das sogar das einzige Nachsitzen meiner Schulzeit eingetragen. Ich hatte Streit mit meiner Banknachbarin, sie hatte angefangen und ich blieb nichts schuldig. Die Lehrerin zitierte uns nach vorn und wollte es mit einer milden Ermahnung. Aber ich bedauerte meine Reaktion nicht, sondern sah sie als mehr als gerechtfertigte Gegenmaßnahme. Dafür wurde eine Strafarbeit draufgelegt. Woraufhin ich erklärte, das mache mir auch nichts. Für die Replik gab es dann Nachsitzen – was letztendlich höchst interessant war: die andere Klasse lernte etwas, was bei uns nie gelehrt wurde und wovon ich noch Jahre profitierte. Mir war das Nachsitzen auch nicht peinlich. Es hatte ja den Vorteil, dass keiner mehr behaupten konnte, ich sei zu brav, nur weil ich nie bei Sachen mitmachte, die ich gar nicht tun wollte.
Ich will nicht meinen Stolz entschuldigen, ich hätte ja auch einfach den Mund halten oder – beliebter Schachzug anderer- in Tränen ausbrechen können. Aber mich hätte andererseits keine Woche Nachsitzen dazu bringen zu können, etwas zu sagen, hinter dem ich nicht stehen konnte. Es war ein Versuch, hundert Prozent aufrichtig zu sein.
Ich erzähle das, weil es zeigt, dass ich in Sachen Wahrheit oder Lüge keine wirklich neutrale Meinung haben kann, selbst wenn ich wollte. Ich habe Lügen nie fertig gebracht, um mich zu schützen. Ich habe es einmal halbherzig versucht, um anderen eine Menge Ärger zu ersparen und weiß, dass ich es einfach nicht über mich bringe. Ich gebe sogar vollständige Steuererklärungen ab und weise Hotelrezeptionen auf vergessene nicht in Rechnung gestellte Posten hin. Gelegentlich kostet es also Geld, ärgerlich aber verschmerzbar.
Manchmal ringe ich mit mir, ob ich nicht doch lieber einmal feige sein und unangenehmen Konsequenzen entgehen will. Von daher verstehe ich, dass andere anders entscheiden. Es ist nur kein Weg für mich.
Ich persönlich glaube, es wäre eine bessere Welt, wenn jeder auf das Wort eines jeden vertrauen könnte. Wohl auch, weil ich schon so viele Lügen erlebt habe.
Mit am schlimmsten finde ich die „pastoralen Lügen“, also wenn Seelsorger Menschen das sagen, was diese hören wollen. Jedem das seine. Um niemanden zu verletzen. Weil die Wahrheit nicht zumutbar ist.
Eine dieser pastoralen Lügen, eine große weit verbreitete ist schuld daran, dass Menschen, die es sonst nie tun würden, schuld auf sich laden. Ich spreche von der Frühabtreibung durch hormonelle sogenannte „Verhütungsmittel“. Ich musste einmal zu diesem Thema für ein Jugendwochenende recherchieren und habe dort aber auch bei Bekannten vorgetragen, was ich herausgefunden habe. Und habe ein paar erzkatholische Leute in leichtem bis mittlerem Schockzustand gesehen. „Wir haben das damals auch probiert, als alle es machten“, sagten sie nach etwas Schweigen dann, „mir war nie wohl dabei. Aber ich hatte ja keine Ahnung ... Warum hat mir das nie jemand gesagt?“
Es gab Ärzte, die es damals zu sagen versuchten; sie wurden oft von kirchlichen Vertretern mundtot gemacht. Manchmal mit dem Argument, warum wolle man die Leute verunsichern, wo doch auch so viele Kinder in Afrika hungers stürben. Man stelle sich den Schock der Nichtsahnenden vor, wenn sie erführen, dass sie möglicherweise einige ihrer Kinder getötet hätten. Damit werde doch nur noch größerer Schaden angerichtet.
Und um die einen vor dem Schock zu bewahren, wurden die anderen nie gewarnt und das Entsetzliche setzt sich nun schon über Jahrzehnte fort und greift um sich.
Nur eine verzeihliche Notlüge?
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